Fragen, auf Fragen..

Ich kann nicht schlafen. Selbst das Summen des Fernsehers stört mich. Selbst dieses rote Lämpchen unten am Fernseher, dieses LED-Lämpchen oder was auch immer es für eins ist, scheint mir zu tönen. All diese Geräusche von der Strasse draussen, die Motorengeräusche, die Sirenen, ja sogar die Nachtmenschen, welche miteinander sprechen, höre ich gerade.

Es ist dunkel. Ich sehe sowieso schon grausam schlecht ohne meine Brille, meine Lupen, meine Vergrösserungsgläser, und jetzt noch diese Dunkelheit. Ich erkenne fast nichts. Am liebsten würde ich das Licht einschalten, hier gerade neben mir ist sogar der Schalter; aber nein, sonst würde ich sie wecken. Das möchte ich nicht. Sie braucht diesen Schlaf. In ein paar Stunden muss sie wieder losfahren, zurückfahren. Sie soll sich ausruhen. Ah wie wunderschön sie doch ist. Ihr schwarzes Haar ist in alle Richtungen verstreut. Ein paar von ihnen berühren sogar meinen Hals. Es kitzelt irgendwie, aber ich möchte sie da lassen. Wer weiss, vielleicht wird es das letzte Mal sein, dass ich diese wunderschöne Haarpracht fühle. Sie riecht so gut. Ich glaube sie benutzt dieses Mandelnussöl-Shampoo. Ich bin mir nicht sicher. Spielt doch auch keine Rolle; es riecht jedenfalls unglaublich gut, sie riecht unglaublich gut. Ich atme tief ein. Diesen Duft muss ich mir einprägen. Nur Gott weiss, ob ich überhaupt noch einmal dazu kommen werde, sie zu sehen, geschweige denn zu riechen. Ich lass mir das nicht nehmen. Ihre Stirn, ich küsse sie.  Ein kurzes Zucken, aber sie bewegt sich nicht. Ich betrachte Ihren Körper, zumindest die Konturen die ich erkennen kann. So zart und zierlich. Weder zu gross noch zu klein ist sie. Ich sag ja immer, wie gegossen für mich. Sie trägt dieses rote Höschen. Mein T-Shirt, eindeutig zu gross für sie, aber sie wollte es unbedingt anziehen. Ich weiss überhaupt nicht ob ich es ihr schenken kann? Wie würde sie es ihm erklären? Sie soll es mitnehmen, wenigstens etwas von mir in ihrem Leben, nebst all den gemeinsamen Erinnerungen, etwas soll bleiben.

Sie schläft ruhig, sehr ruhig sogar. Trotz all dem bedeckt mein T-Shirt ihren Oberkörper nur bis zur Hälfte. Ich fahre ihr langsam mit meiner Hand die Wirbelsäule herunter; wenn ich schon nichts erkennen kann, dann wenigstens doch fühlen, ziehe aber das Shirt gerade mit. Sie soll nicht frieren im Schlaf. Unten angekommen, berühre ich ihr Höschen. Ich streife mit meiner Hand darüber und fahre über ihren Hintern, diese Wölbungen, so knackig. Ich kann nicht wiederstehen. Plötzlich ergreifen mich die ersten perverseren Phantasien. Ich erinnere mich noch genau, damals als wir uns in Griechenland trafen, in Athen, in diesem schmuddeligen Hotel. Wir konnten die ganze Nacht nicht die Finger von einander lassen, ausser nachdem ich im Bad war, als sie der Schlaf übermannte. Langsam habe ich sie geliebkost von den Knöcheln über das Wadenbein, an den Knien vorbei, zum Oberschenkel, ganz langsam, bis ich ans Ende des Weges kam, zwischen ihren Beinen. Zuerst habe ich sie nur da geküsst, dann fuhr ich mit meiner Zunge von oben nach unten in kreisförmigen Bewegungen und wieder zurück. Wie sie plötzlich aufwachte, dieser Blick, dieses Grinsen, dieses Augenverdrehen, wie sie den Kopf nach hinten schlug und meinen fester an sich presste. 
Ich bin wieder scharf, rattig wie es meine Freunde immer nennen. Ich könnte sie wieder auf eine ähnliche Art wecken, würde ich am liebsten. Einen Gomez abziehen. Aber nein, nicht jetzt. Zu sehr geniesse ich es ihr zu zusehen, wie sie schläft. Ich decke sie zu mit meiner rechten Hand. 

Wie habe ich die letzten zwei Tage mit ihr genossen. Ich weiss die Situation mit uns wird so nur schlimmer, nur schmerzhafter, nur grausamer, zumindest für mich ganz sicher. Sie scheint besser damit klar zu kommen. Vielleicht auch nicht, wie auch immer, ich habe Angst vor der Wahrheit. Zu spät ist zu spät. Diese letzten Stunden mit ihr wollte ich mir nicht nehmen lassen und sie auch nicht. Morgen ist alles wieder vorbei. Ein langer Heimweg erwartet uns beide. Obwohl sie viel weiter zurück hat als ich, wird sie vor mir ankommen. Wie lange habe ich zurück in die Schweiz, etwa 6 Stunden, wenn ich rase eventuell nur knapp mehr als 5. Immer diese Blitzkästen überall hier in Österreich. Jemand muss ja diesen aufgeblasenen Staat finanzieren, wobei immer noch besser als bei uns in der Schweiz, da wird nur gezielt abgezockt werden. Politik? Wie zum Teufel komme ich jetzt auf diese Gedanken? Ich werde ja sowieso rasen, wieso überlege ich auch so lange. Morgen um diese Uhrzeit muss ich aufstehen und dann ab zur Arbeit. Dort erwartet mich meine Schleifmaschine, mein nervtötender kroatischer Teamleiter - aber hier, hier habe ich sie neben mir. Meine allerliebste, mein Herz, mein Traum, meine griechische Göttin. Ich will nicht weg von hier. Am liebsten würde ich hier bleiben, ausreissen mit ihr, irgendwo hin, es spielt keine Rolle welcher Ort, oder ob das Meer nahe ist oder die Berge, nicht im Geringsten. Ich brauche nur sie bei mir. Mehr wünsche ich mir gar nicht.

Ich kann mich noch genau erinnern als sie mir auf Facebook schrieb. Sie wolle mit mir reden. Es wäre dringend und sie möchte mich treffen. Diese Worte. Bitte. Ich brauche dich. Wien. Wie hätte ich da Nein sagen können?
Eigentlich dachte ich es wäre vorbei. Nachdem sie mir damals in Athen erklärt hatte, sie könne diese Fernbeziehung nicht länger aufrecht erhalten. Wie stark sie es belastet. Klar haben wir den Kontakt zu einander bewahrt. Einfach nur das man sich nicht komplett aus den Augen verliert. Doch trotzdem traf mich ihr Wunsch aus dem Nichts. Wenn man noch ihre Umstände betrachtet, verstehe ich das Ganze noch mehr. Aber Wien, wieso Wien?
Nun ja, jetzt liegen wir hier im Bett, zusammen. Sie auf meinem Arm vor sich hin träumend. Bis ich nur diesen Westbahnhof gefunden hatte gestern Morgen. Unglaublich, hätte nie gedacht, dass eine so grosse und berühmte Stadt wie Wien so schlecht beschildert sein könnte. Nun ja, dieser Gedanke der mir nicht gekommen war, kostete mich eine halbe Stunde meines Lebens. Zum Glück wusste ich wenigstens,  dass es an irgend so einem Gürtel liegt. Der Neue Gürtel soweit ich mich ersinne. Ich war noch nie gut in Geografie. Hauptsache gefunden und zum Glück ist das Hotel gerade neben diesem Westbahnhof. Nachdem ich meinen weissen BMW in der Tiefgarage geparkt hatte, lief ich in den Bahnhof hinein. Es roch nach Frittiertem, Geräuchertem, es roch nach Fisch und nach Bahnhof. Dieser komische Geruch, den so ziemlich jeder von ihnen verbreitet. Dieses Duftgemisch. Urin, diverse Parfüme, Schweiss, Nahrungsmittel diverser Art, rostiges Eisen. So ziemlich alles. Ich bin kein Profi in solchen Dingen und schon gar nicht in der Analyse verschiedener Duftstoffe. Es riecht einfach nach Bahnhof, ich glaube das versteht jeder. 

Sie sass da, ihr Koffer vor ihren Füssen. Sie starrte raus, durch die grosse Glasfassade welche Richtung Mariahilferstrasse und Museumsquartier steht. Leicht lockiges schwarzbraunes Haar. So hatte ich sie noch in Erinnerung. Mit dem rechtem Zeigefinger umkreiste sie ihren linken. Leicht nervös schien sie mir, oder vielleicht gelangweilt. Ich bleibe bei nervös, gefällt mir weitaus besser. Plötzlich drehte sie ihren Kopf zu mir, als hätte sie gemerkt, dass ich da war. Ihre Gesichtsmimik war geschmückt mit einem kleinen aber feinen Lächeln. Ihre Zähne kamen über die enge Mundöffnung zum Vorschein. Ihre Bäckchen mit diesen leichten Grübchen. Ich hatte schon komplett vergessen wie schön sie doch war und wie sehr ich mich doch in Wirklichkeit noch immer nach ihr sehnte. Sie hatte ihre Nägel blau lackiert. Muss wohl ein neuer Trend sein, werde das nie verstehen, will ich auch nie verstehen. Sie war da, nur darauf kam es mir an. Für einen Augenblick kam alles wieder in mir hoch, was damals in mir war, was immer noch tief in mir drin irgendwo ist.
Sie sprang auf, kam mir entgegen und sprang in meine Arme. Mandelnussöl, immer noch dasselbe wie damals. Ah Mandelnussöl, jetzt weiss ich warum ich stehts daran denke. In Athen, da habe ich es gesehen, in ihrer Tasche.
Ich war ein bisschen baff, da sie mich einfach auf den Mund küsste. Wie sollte ich reagieren? Den Kuss erwidern oder alles ihr überlassen, obwohl ich mich überaus freute, denn sehnte ich mich lange nach ihren Küssen. Ich brachte nur ein klassisches und halb-cooles „Hey“ über meinen Mund, mit halber Stimmkraft. Sie sah mir in die Augen, ein Lächeln, kniff mir in die Wange, schüttelte den Kopf und küsste mich noch einmal. Da wusste ich noch weniger, wie ich reagieren sollte, also tat ich nichts ausser sie fester an mich zu drücken. 

Die folgenden Stunden redete sie und redete. Von Ihrem Leben. Wie schön Turku doch war. Wie viele Menschen sie kennengelernt hatte. Wie ihr Studium lief. Was sonst so geschehen war und wie es ihrer Familie ging. Mir fiel erst jetzt auf, wie viel sie mich gefragt hatte, und ich mit meinen kurzen lakonischen Antworten. Ich konnte ihre Neugier kaum befriedigen, wo und mit wem ich gerade war. Sie dürfte eigentlich doch gar nicht hier sein. Was wenn er davon erfahren würde?
Nachdem wir unser Zimmer bezogen hatten, gingen wir sofort wieder raus, an die freie Luft. Spazieren wollte sie, doch noch ein bisschen von Wien sehen.
Wir flanierten die Mariahilferstrasse hinunter bis zum Museumsquartier. Als wir dann davor standen, drehten wir beide ohne es richtig zu bemerken wieder um. Zurück zum Hotel. Wir liefen und liefen. Diese paar hundert Meter kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Sie erzählte mir Dinge, welche ihre Freundinnen erlebt hatten. Über all die Freundinnen, welchen ich kurz einmal über den Weg gelaufen war, damals in Athen.
Als wir wieder über den gläsernen Lift in unserem Zimmer angekommen waren, wurde auch sie still. Wir legten uns aufs Bett. Ich konnte die Situation immer noch nicht wirklich einschätzen. Ich schwieg, ging immernoch nur spärlich mit meinen Worten um. Sie, bei ihr kamen Geschichten und Worte raus geschossen, ohne Pausen, ohne Zusammenhang. Mal war es der Urlaub in Thessaloniki, dann ohne Übergang, die Zeit in der Schweiz bei ihren Cousinen. Aber ihre zärtliche Art, wie sie die Geschichten erzählte, lenkte mich stets von den eigentlichen Inhalt ab. Meine Gedanke und meine Aufmerksamkeit waren auf ihre Augen und ihren Geruch gerichtet. Wenn ich mich jetzt zurücksinne, ich kann mich an fast nichts mehr erinnern, was sie mir erzählt hat.

Noch zwei Stunden, dann müssen wir aufstehen. Noch zwei Stunden und wir verabschieden uns von einander. Ob ich sie jemals wiedersehen werde? Ich weiss es nicht. Es kommt auf ihn an. Wird er uns im Weg stehen und was will sie eigentlich? All diese Fragen, obwohl ich mir geschworen habe, mir keine von ihnen zu stellen. Ich weiss nicht ob es eine gute Entscheidung war, nach Wien zu kommen, sie zu sehen, sie zu küssen, sie zu fühlen. Sie wird mir wieder eine lange Zeit nicht aus den Gedanken gehen. Was mache ich dann? Mich mit meinen Freunden volllaufen lassen? Ja Yusuf wird wieder alles geben um mich abzulenken. Es hat aber das letzte Mal nichts genützt und es hat verdammt lange gedauert, dass wird es auch bei diesem „Danach“ sein.
Aber keine Trauer und Reue der Welt kann mir diese Schönheit des Lebens vermiesen. Ich bin gerne hier, mit ihr, selbst wenn die Folgen mühsam werden für mich. Diese Chance sie noch einmal zu sehen und bei mir zu haben, sind die Schmerzen wert. Ich werde es schon überstehen, wie immer.
Wie wird es ihr gehen? Was wird sie ihm sagen? Wird sie auch so leiden wie ich? Ah so viele Frage ohne Antworten..

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